Freispruch für Mutter in weiterem Prozess um Sektenmord an Vierjährigem vor 34 Jahren
Nach mehr als einjähriger Prozessdauer hat das Landgericht im hessischen Hanau in einem weiteren Prozess um einen Sektenmord an einem Vierjährigen vor mittlerweile 34 Jahren die angeklagte Mutter des Jungen freigesprochen. Die Entscheidung erging aus aus Mangel an Beweisen, wie eine Gerichtssprecherin am Dienstag sagte. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft seien nicht erwiesen.
Diese hatte die heute 61-Jährige angeklagt, im August 1988 ihren körperlich und seelisch vernachlässigten Sohn getötet zu haben. Sie soll ihn in einem über dem Kopf zugeschnürten Sack zum Mittagsschlaf gelegt und ihn ihn in der Obhut der Sektenanführerin gelassen haben. Dabei sei die Mutter davon ausgegangen, dass die heute 75-jährige Sektenanführerin ihrem Sohn "aus eigensüchtigen Motiven nach dem Leben getrachtet" habe. Damit habe die Frau ihre Anführerschaft in der Sekte bewahren und stärken wollen.
Die Mutter sei von der Anführerin davon überzeugt worden, dass der Vierjährige die "Reinkarnation Hitlers, ein Machtsadist und von den Dunklen besessen" sei sowie von Gott geholt werde. Sie habe den Jungen im Sack sich selbst überlassen, obwohl sie seine panischen Schreie wahrgenommen haben soll. Das Kind erstickte. Den Tod ihres Kinds habe die Mutter billigend in Kauf genommen.
Mit dem Urteil folgten die Richter dem Plädoyer der Verteidigung. Die Staatsanwaltschaft hatte lebenslange Haft gefordert. Zur Begründung führte die Kammer aus, dass nicht mit der nötigen Sicherheit festgestellt werden konnte, dass die Angeklagte den Sack zuschnürte. Ein alternativer Tathergang sei möglich. So sei es denkbar, dass die Sektenanführerin den Sack über dem Kopf des Kinds verschnürte. Auch habe die Mutter nichts von einer möglichen Tat der Anführerin gewusst. Daher sei auch ein gemeinschaftlich begangener Mord nicht bewiesen.
Im September 2020 hatte das Landgericht Hanau bereits die Sektenanführerin wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Mutter wurde einen Tag nach der Urteilsverkündung festgenommen und befand sich seitdem in Untersuchungshaft. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil gegen die Sektenanführerin im Mai 2022 jedoch wegen eines Rechtsfehlers auf und verwies das Verfahren nach Frankfurt am Main.
Die Karlsruher Richter kritisierten, dass sich das Landgericht nicht eingehend damit befasst hatte, ob es sich bei dem Fall um eine Tötung durch aktives Tun oder durch Unterlassen handelte. Zudem muss die Schuldfähigkeit der Frau erneut überprüft werden. Der gesamte Fall war erst nach vielen Jahren durch Medienrecherchen ans Licht gekommen.
(G.Gruner--BBZ)