Forderungen nach schnellerer Aufnahme afghanischer Ortskräfte in Deutschland
Ein Jahr nach dem Fall von Kabul an die radikalislamischen Taliban hat die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl die sofortige Umsetzung der Regierungsversprechen zu Afghanistan gefordert. Die Bundesregierung setze ihre Zusage, gefährdete Menschen zu retten, nur ungenügend um, kritisierte Pro Asyl am Samstag anlässlich eines Ortskräftekongresses in Berlin. Auch der Grünen-Politiker Julian Pahlke forderte Verfahrenserleichterungen für die Aufnahme ehemaliger Ortskräfte und deren Familien.
Am Samstag fand in Berlin auf Einladung der Evangelischen Akademie zusammen mit dem Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte und Pro Asyl eine Konferenz zu dem Thema statt. Pro Asyl übergab dabei fast 20.000 Unterschriften zur Petition "Retten statt reden" an die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg (Grüne).
Die Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisation bekräftigte ihre Forderungen nach einer Reform des Ortskräfteverfahrens, der kontinuierlichen Erteilung humanitärer Visa und der Beschleunigung des Familiennachzugs. Die Zahl der Menschen, die Schutz bekommen sollen, sei viel zu gering.
"Dass die Bundesregierung fast ein Jahr nach der Machtübernahme der Taliban und mehr als sechs Monate nach Regierungswechsel noch immer kein funktionierendes Bundesaufnahmeprogramm für gefährdete Menschen aus Afghanistan realisiert hat, ist unverantwortlich gegenüber den Menschen, die sich in Afghanistan für Menschenrechte und Demokratie eingesetzt haben und in Gefahr sind", erklärte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt.
Keinerlei Fortschritte gebe es bisher bei der versprochenen Reform des Ortskräfteverfahrens. Die Definition, wer als Ortskraft gilt, müsse alle Gefährdeten einschließen, zum Beispiel auch Subunternehmerinnen und -unternehmer, die für die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) gearbeitet haben, so Burkhardt.
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Pahlke sagte der Nachrichtenagentur AFP, zwar seien mittlerweile rund 21.000 akut gefährdete Menschen aufgenommen worden, doch "viel zu viele Ortskräfte und ihre Familien stecken auch nach einem Jahr noch in Afghanistan fest".
Die Taliban hatten nach dem Abzug der internationalen Truppen am 15. August 2021 die Macht in Kabul übernommen. Am Flughafen der Hauptstadt kam es bei Evakuierungen anschließend zu chaotischen Szenen. Die meisten der seither aufgenommenen Ortskräfte konnten erst Monate später Afghanistan verlassen.
Darunter seien viele Frauen und Männer, "die in ihrem Heimatland für deutsche Ministerien, Organisationen oder die Bundeswehr gearbeitet haben", sagte Pahlke. "Viele dieser Menschen wurden und werden aufgrund ihrer Tätigkeit von den Taliban bedroht."
Derweil beklagte das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen Unicef eine massive Unterfinanzierung der humanitären Hilfe für Afghanistan. Im laufenden Jahr sei bisher nur ein Drittel der benötigten Mittel bereitgestellt worden, schrieb der Geschäftsführer von Unicef Deutschland, Christian Schneider, im "Kölner Stadt-Anzeiger" vom Samstag. Dabei könnte Unicef "entgegen der Wahrnehmung in Deutschland" heute "deutlich mehr Hilfe in allen Teilen des Landes leisten".
Die Nahrungsmittelversorgung sei katastrophal. "Über eine Million Kinder sind lebensgefährlich mangelernährt. Acht von zehn Menschen werden auch heute verschmutztes Wasser trinken", kritisierte Schneider. Er prangerte vor allem die Politik der Taliban an, Mädchen gezielt von der Bildung abzuschneiden.
Am Samstag lösten Taliban-Kämpfer in Kabul eine Demonstration von Frauen gewaltsam auf. Die Kämpfer schossen in die Luft, um die rund 40 Demonstrantinnen zu vertreiben, die vor dem Bildungsministerium "Brot, Arbeit und Freiheit" skandierten, wie ein AFP-Korrespondent berichtete.
(L.Kaufmann--BBZ)